Wer Geschichten erzählt, dem gehört die Welt
Erzählte Geschichten bewegen, sie sind der Motor unserer Welt. Sie beflügeln unsere Fantasie, lassen uns zu Traumreisen aufbrechen. Das Erzählen von Geschichten baut Brücken zwischen Menschen, lässt sie Projekte entwickeln, die ohne sie nicht möglich wären. Wir erliegen dem Charme der Worte, wenn wir hören: „Es war einmal…“, „Ich liebe Dich!“ oder „I have a dream“. Sprache ist die entscheidende Kulturleistung des Menschen. Mit ihr begann das Erzählen von Geschichten, bekam das Denken ein Transportmittel, der Kreislauf aus Senden und Empfangen war geboren. Ihre Vielfalt, der Reichtum ihrer Möglichkeiten, unterscheidet uns von allen anderen Lebewesen. Sprache ermöglicht Geniestreiche: die Pyramiden, die Schrift, das Rad, die Dampfmaschine, Shakespeares Dramen, Quanten- und Relativitätstheorie, der Flug zum Mond und die Erforschung des Weltalls.
Geschichten verzaubern, bauen auf. Umso wichtiger ist es, die Gesetze des Storytellings, so nennt sich diese hohe Kunst heute, zu kennen. Wer weiß, wie sie funktioniert, kann diese wunderbare Fähigkeit nutzen. Unser Unterbewusstsein spricht nicht, in ihm entfalten Bilder ihre Wirkungskraft. Durch sie öffnet sich das Tor zu unserem inneren Fühlwissen, dem Universum unserer Vorstellungskraft. So kann das Neue in die Welt gelangen.
Erzählte Geschichten sind das Schwert, mit dem die Schlachten unserer Zeit geschlagen werden. In Zeiten des Internets entscheidet die Kunst der brillanten Geschichten über unsere Zukunft. Klarheit ist das Gebot unserer Tage – Vorstellungskraft, deren Worte Magnetkraft besitzen, deren Kraft Sogwirkung erzeugt. Unzählige sprachliche Tonarten sind möglich. Wer gestalten will, muss Geschichten erzählen können. So war es in unserer Vergangenheit, so wird es in Zukunft bleiben. Mit Geschichten bewegen zu können, bedeutet, vorgeschickt zu werden, heißt, den Gang der Dinge lenken und steuern zu können.
Zwei Extreme stehen sich gegenüber: Unser heutiges Verhalten in der digitalen Umgebung und unsere Lebenswirklichkeit im Alltag. Oft fehlt die Übersicht. In der medialen Dauerberieselung ersaufen wir im Strom der Information, derweil unsere Kommunikation den Bach herunter geht. Nie war es – durch E‑Mail, WhatsApp und Co. – möglich, mit so vielen Menschen vernetzt zu sein. Und wie viel reden wir noch miteinander? Anstatt eines Briefes schreiben wir, mal eben schnell, eine WhatsApp. Selbst das gelingt nur noch mit Hilfe eines Rechtschreibprogramms. Im Café starren wir auf die Bildschirme unserer Handys, schweifen bei jedem Klingelton unseres Gesprächs ab. Wer nichts zu sagen hat – hoffentlich merkt es niemand – verpackt seine seichte Botschaft in einer grandiosen Präsentation verwirrender Worthülsen. PowerPoint und Co. sind die kommunikativen Schlaftabletten unserer Zeit geworden. Wir versinken im Sumpf des Wortgeklingels. Das beeindruckt mächtig, doch alle verstehen nur Bahnhof.
Auf der anderen Seite wird es für viele Menschen zum Problem, Anspruchsvolles in wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen. Dabei ist das Erzählen von Geschichten der Schlüssel zu allem. Wer weiß, wie das Bewegen mit Worten funktioniert, kann diese nutzen, sie lieben, andere Menschen damit begeistern. Wer Geschichten erzählen kann, wird zur einflussreichen Persönlichkeit. Das Komplizierte wird plötzlich einfach und verständlich.
Wer Geschichten erzählt, bringt Menschen dazu, ihr Handy auszuschalten und vollkommen im Augenblick zu verweilen. Wir alle kennen diesen Moment. So wie damals, als wir klein waren und uns Märchen vorgelesen wurden. Als es hieß „Es war einmal…“