Die Methode Scrum baut Brücken wenn es gilt, Ideen für die Zukunft zu entwickeln.
Was sind in der Welt des Projektmanagements nicht schon alles für Säue durchs Dorf getrieben worden. Heilsboten der Betriebswirtschaft predigten uns vermeintlich erfüllende Wahrheiten, mit denen wir unser unternehmerisches Schaffen in ungeahnte Höhen aufschwingen könnten. Allein der betrachtende Blick auf die zurückliegenden Jahrzehnte offenbart Ernüchterndes. Was uns alle paar Jahre als der Heilige Gral für Unternehmen verkauft wurde, löste sich meist in Wohlgefallen und akademisches Wortgeklingel auf: Kaizen, Lean Management, Total Quality Management – sie alle kamen und gingen wieder. Theorie klingt gut, doch die Praxis erfordert das beherzte Zugreifen. Wir sind Wissensriesen doch leider Umsetzungszwerge. Eines ist und bleibt gewiss. Die seligmachende Formel für das erfolgreiche Führen eines Unternehmens muss erst noch gefunden werden. Kein Gedanke über die Verbesserung im Schaffen, den Aufbruch in neue Chancengebiete, der bei uns nicht schon längst gedacht worden ist. Darin sind wir Deutschen als das Volk der Dichter und Denker stark. Doch bereits Geistesgröße Johann Wolfgang von Goethe ließ die Seifenblasen geistiger Auswüchse mit einem knackigen Zitat zerplatzen. „Erfolg hat drei Buchstaben – Tun.“ Davor zucken wir zusammen, das lässt uns erschaudern. Dann schlägt die Stunde der Bedenkenträger mit Sätzen: „Es müsste nur noch getan werden. Was da alles passieren kann…“
Dort, wo beim Menschen im Großhirn die Frontallappen liegen, also direkt hinter dem Knochen der Stirn, vermutet der Arzt und Kabarettist Eckhardt von Hirschhausen bei uns Deutschen eine biologische Besonderheit – den Jammerlappen. Wenn es ans Eingemachte geht, zerlegen wir Deutschen eine Herausforderung in so kleine Details, dass nach einer Weile auch der Letzte den Überblick und die Richtung verloren hat. Schimmert ein Licht am Ende des Tunnels, verlängern wir den Tunnel. Den Rest besorgt die Bürokratie. Am Ende steht die traurige Geschichte vom Flughafen Berlin-Brandenburg. In der Politik hat diese Vorgehensweise eine Jahrzehnte lange Methode: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich ’nen Arbeitskreis. Die Steigerung davon ist ein Untersuchungsausschuss. Der präsentiert, nach Jahren des Untersuchens, Dinge, an die sich kaum noch jemand erinnern kann, die längst im politischen Sumpf des seichten Sülzens versichert sind.
Ein aktueller Höhepunkt im akademisierten Wortgeklingel der Betriebswirtschaft ist das Strategieprogramm Scrum. Mit diesem Vorgehensmodell sollen Belegschaft und Firmenleitung bisher ungeahnte Erfolge beim Entwickeln neuer Produkte und Umsetzen neuer Projekte erzielen können. Was so brandneu klingt, erweist sich bei näherem Hinschauen als logischer Ablauf längst bekannter Weisheiten. Wird da wieder mal alter Wein in neuen Schläuchen verkauft? Die Antwort überlasse ich Ihnen. Doch bevor es ins weitere Abdriften geht, werfen wir einen Blick auf die Details: Der Name Scrum leitet sich vom englischen Wort „Gedränge“ ab und wurde ursprünglich für die Entwicklung von Software eingesetzt. Scrum zielt darauf, dass Teams in Unternehmen die Gedanken fliegen lassen können, um so zur Lösung aktueller Probleme oder dem Ausbrüten neuer Produkte und Dienstleistungen zu kommen.
Der Ansatz von Scrum klingt logisch. Wer heute etwas Neues entwickeln möchte, hat dafür in den seltensten Fällen einen genauen Plan. Niemand weiß, was und wie es kommen wird. Dafür sind die Herausforderungen zu komplex und umfangreich. Heute erfolgreich zu sein, erfordert eine Vorgehensweise, die auf Beobachtung und Erfahrung basiert, die sich schrittweise und in ständiger Wiederholung aufeinander aufbauend auf eine Lösung hinbewegt. Schon in Tolkins „Der Herr der Ringe“ heißt es: Verbrannte Finger sind der beste Lehrmeister. Neues entsteht aus dem Schweiße der Wiederholung, gemachten Fehlern und einer Portion Glück. Wir irren uns mit unserem Erfahrungswissen bergauf. Meist kommt noch der Zufall mit rettenden Geistesblitzen hinzu.
Teams, die mit Scrum arbeiten, müssen drei entscheidende Rollen und Aufgabenverteilungen erfüllen. Rolle 1 (Product Owner) besitzt derjenige, der die fachlichen Anforderungen an das Projekt festlegt und diese entsprechend gewichtet. Rolle 2 (Scrum Master) ist dafür zuständig, dass die Abläufe ins Rollen und reibungsfrei vorankommen. Rolle 3 (Das Team) hat den Auftrag, eine Lösung für die gestellte Aufgabe zu entwickeln. Von außen stehen Beobachter (Stakeholder) mit Rat und Tat zur Seite. Was genau geschehen, entwickelt oder gelöst werden soll (Requirements) wird in einer Anforderungsliste (Product Backlog) festgelegt. Diese Liste unterliegt einem ständigen Wandel wachsender Erfahrung, einer Reflexion, ob die gesetzten Ziele noch die richtigen sind. Frei nach Konfuzius: Der Weg erschließt sich dir im Gehen. Das Team trifft sich in festen Abständen und arbeitet klar definierte Aufgaben ab, testet das Neue, berichtet über die aktuelle Entwicklung. Oberstes Ziel ist das Umsetzen und Fertigwerden, deswegen darf ein Projekt im Verlauf nicht mit neuen Ideen oder Ergänzungen erweitert werden. Sprint wird diese mehrfach wiederholte schnelle Vorgehensweise genannt. Mit jeder Runde erweitern und verfeinern sich Erfahrung und Wissen in Richtung Ziel oder Scheitern. Denn eine Garantie gibt es bei Scrum nicht, kann es nicht geben. Das Ziel von Scrum ist das schnelle und kostengünstige Entwickeln, daher die klaren und zeitlich engen Vorgaben. Wieder bewahrheitet sich eine alte Weisheit: Die Wiederholung ist die Mutter aller Dinge.
Wie sie, verehrte Leser, meinem Zungenschlag in der Formulierung bereits sicher entnommen haben, stehe ich Scrum sowie seinen Abarten und Klonen sehr kritisch gegenüber. Aus welchem Grund? Ganz einfach, ich erlebe täglich, wie sich Belegschaften und Mitarbeiter in inhabergeführten Unternehmen an den bürokratischen Kopfgeburten dieses Programms abarbeiten. Scrum erzeugt leicht die Illusion, konstruktiv in Richtung auf ein Ziel unterwegs zu sein. Doch, was bei dieser Art des Vorgehens herauskommt, ist meist völlig offen. Zitat eines Abteilungsleiters: „Wir sind immer noch verwirrt, keiner blickt mehr durch – doch wir fühlen uns alle besser – das Programm ist großartig.“ Sicher, Scrum klingt prächtig und dynamisch, so großartig, dass alle, die noch nie mit unternehmerischer Praxis zu tun hatten ins Grinsen kommen. Damit müsste sich doch in jedem Unternehmen der Albtraumkatalog mit den Themen Arbeitsverweigerung, Angst vor dem Neuen, Demotivation, Mobbing und innere Kündigung auflösen lassen – welch ein Irrtum.
Bei Scrum werden Logisches und längst Bekanntes zu Seifenblasen des Wortgeklingels aufgepumpt. Es entsteht ein atemberaubendes Fachchinesisch. Wer die Begrifflichkeiten aus diesem Programm herunterbeten kann, genießt schnell ein gewaltiges Ansehen, welches sich aus der Ahnungslosigkeit der Nichtwissenden speist. Je besser Sie das Scrum-Sprech beherrschen, desto weiter schwingt sich Ihre Kompetenzvermutung in die Höhen wissenschaftlicher Expertise auf, thematische Laien werden wie Fans an Ihren Lippen kleben. Möge Gott verhindern, dass diese jemals hinter die Kulisse schauen. Ja, es ist höchste Zeit für ein Beispiel: „Der Ansatz von Scrum ist empirisch, inkrementell und iterativ“, weiß Wikipedia zu berichten. Damit ist doch schon alles gesagt, nicht? In der Tat, gehören Inkremente und das iterative Vorgehen zum Stammvokabular in Ihrem Unternehmen, oder etwa nicht? Neben dem Produkt müsse auch die Planung „iterativ und inkrementell“ entwickelt werden, berichtet Wikipedia weiter. Es war höchste Zeit, dass dies einmal gesagt wurde! Werden die Begriffe ins Deutsche übersetzt, erklingt das Ergebnis allerdings in einer wesentlich schlichteren Tonart. „Iterare“ kommt aus dem Lateinischen und heißt, „sich wiederholen“. Hinter dem Wort „inkrementell“ verbirgt sich ein „schrittweises, aufeinander aufbauendes Vorgehen“. Das war’s – mehr ist da nicht. Scrum ist intellektuelles Kulissenschieben, doch dahinter präsentieren sich die Dinge sehr übersichtlich.
Vom aufgeblasenen Wortgeklingel abgesehen, bietet Scrum auch logische Vorteile: Die an einem Projekt Beteiligten sollen ihr Hirnschmalz auf erhöhte Betriebstemperatur bringen, ohne dass für jeden Schritt genaue Arbeitsanweisungen gegeben werden. Das Team soll selbst auf Lösungen und Ideen kommen. Auf den Einpeitscher, der ständig sagt, wo es lang geht, wird verzichtet. Erfolg durch Klarheit und Improvisation könnte Scrum auch genannt werden. „Wir fangen schon mal an, wir sehen dann schon, wie es wird.“ Dieser Satz wird Napoleon nachgesagt. Gib deinem Team Fachwissen, Mut und die nötigen Mittel, und dann lass sie machen. Doch darauf müssen die Mitarbeiter vorbereitet sein. Der Großteil aller Arbeitnehmer schätzt, von oben Anweisungen über die genaue Vorgehensweise zu erhalten. Da löst der Aufruf: „Jetzt macht mal selbst!“ Verwunderung und Verwirrung aus. Scrum bleibt eine Kopfgeburt, wenn alle Beteiligten nicht systematisch auf diese freie Art und Weise der Arbeit vorbereitet werden. Vorgaben geben Struktur und Orientierung. Die einfach wegzulassen, schafft Unruhe.
So gut der Ansatz von Scrum auch gemeint ist, so wenig bietet er eine Garantie für Erfolg und Gelingen. Was bei Scrum herauskommt, kann die Einschätzungen gewaltig übertreffen oder ein mächtiger Schuss in den Ofen sein. Entscheidend ist die Umsetzung, das, was „hinten herauskommt“ wie Altkanzler Helmut Kohl zu sagen pflegte. Ein Programm wie Scrum gaukelt uns geradezu teuflisch vor, in die richtige Richtung zu arbeiten: Alle Beteiligten arbeiten streng nach den vorgegebenen Strukturen, erfüllen die Rollen, treffen sich zu Meetings, liefern Ergebnisse (Inkremente) ab. Ob das Erarbeitete besser ist als auf anderem Wege herbeigeführt, bleibt offen. Jeder ist beschäftigt, niemand sitzt rum. Operative Hektik ersetzt so geistige Windstille. Am Ende kann jeder sagen: „Ich war es nicht!“ Wir erinnern uns: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis. Hier liegt der Hase im Pfeffer des Problems. Beschäftigung war schon immer die kreative Flucht vor der Arbeit. Das Kuriose: Äußerlich sind Beschäftigung und Arbeit nicht voneinander zu unterscheiden. Klappern gehörte schon immer zum Handwerk. Was am Ende dabei herauskommt, ist eine vollkommen andere Frage. Arbeitet mein Team oder sieht es nur so aus? Das ist ein typischer Gedanke, der jedem Unternehmer in dieser Situation durch den Kopf geht.
Ich war in Firmen, da hingen Zettel mit der folgenden Botschaft in den Büros: „Sind sie gestresst? Schlafen sie schlecht? Gehen sie zu einer Besprechung. Dort finden sie Ruhe und Entspannung im Kreise von Gleichgesinnten. Niemand wird sie dort mit Arbeit von ihrer inneren Ruhe ablenken.“ Das Leben in Sitzungen lenkt von der Tatsache ab, dass am Ende meist nichts dabei herauskommt. Jeder hat alles richtig gemacht, leider ist das Ergebnis gleich null. Das ist rasender Stillstand, bei dem alle dabei gewesen sind.
Wir stellen uns vor, unsere Parlamentarier würden nach Ergebnissen bezahlt und nicht nach dem Vorordnungsschwachsinn, mit dem sie uns das Leben schwermachen. Ausgerechnet Ken Schwaber, der Scrum Anfang der 90er Jahre mitentwickelte, brachte es sarkastisch auf den Punkt. Nach der Methode von Scrum könne auch ein „Team von Idioten“ arbeiten. Ob deswegen gerade in Ministerien mit Scrum gearbeitet wird? Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Wer das Wort Scrum rückwärts liest, erkennt Erhellendes – dann steht da – murcs. Ah, so ist das! Bleiben Sie kritisch, falls die nächste neue Schnapsidee für Projektmanagement zur selig machenden Weisheit erhoben wird. Halten sie den direkten Kontakt zu ihrem Team, führen sie Gespräche, beobachten sie ihre Leute. Lassen sie ihre Belegschaft von der Kette hierarchischer Zuständigkeiten. Stellen sie sich vor, in ihren Mitarbeitern schlummern mehrere 10 Millionen-Euro-Ideen. Höchste Zeit, diesen Schätzen auf die Spur zu kommen. Am besten funktioniert das, wenn ihr Team sich den Weg zu diesem Ziel selbst erarbeitet, weil sie es wollen – und weil sie sie lassen. Dafür brauchen sie keine Schnapsideen aus dem Hause „Weil man das jetzt so macht“. Stärken sie ihrer Belegschaft den Rücken, zeigen sie, dass sie stolz auf ihre Leute und deren Arbeit sind. So haben erfolgreiche Unternehmer schon immer geschafft. Das ist Treibstoff für eine Motivation, die sich stets aus sich selbst nährt und aktiviert. Mit gesundem Menschenverstand und Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit ihres Teams lassen sich noch ganz andere Kühe vom Eis holen.